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Diese 10 Marketing-Jobs können wieder weg
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Chief Listening Officer? Chief Growth Officer? Marketing und Werbung sind erfinderisch wie selten zuvor, immer neue Berufsbezeichnungen erblicken das Licht der Welt. Mindestens zehn davon sind vollkommen überflüssig.
Marketing ist zu einem skurrilen Berufszweig geworden. Viele beklagen, Marketing habe in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung im Unternehmen verloren. Sei es im ewigen Kampf gegen den Vertrieb – ein Kampf, den der Vertrieb fast immer gewinnt. Sei es vor allem, weil Marketing zu wenig nachweisen kann, welchen Wert es (und sein angeblicher „Kosten“-Block Werbung) zum Erfolg des Unternehmens beisteuert. Was wiederum die Unterlegenheit gegenüber dem Vertrieb erhärtet. Statt aber am Marketing-ROI und dessen Nachweis zu arbeiten, gehen sie gänzlich andere, bisweilen neumodisch bizarre Wege.
Marketing wäre ja nicht Marketing, wenn seine Statthalter darauf keine Antworten hätten. Statt sich selbst zu hinterfragen; statt neue Wege zu gehen, voranzuschreiten, allen im Unternehmen zu beweisen wie unverzichtbar Marketing ist – erfinden sie jedes Quartal neue Berufsbezeichnungen, jedes Jahr neue Unterabteilungen, die sich auf scheinbar unverzichtbare, neue Buzz-Aufgaben konzentrieren.
Früher gab es einen Marketingchef und einen Werbechef. Ganz simpel. Heute finden sich in den Unternehmen neben dem Chief Marketing Officer (CMO) neue Chefs ohne Ende. Ganz schlimm wurde es aber erst, seitdem sie sich „Chiefs“ nennen. Sie drohen dabei noch mehr die Übersicht über ihre zentralen Aufgaben zu verlieren: Den Fokus auf das Wesentliche, auf die Verbraucher, den Markt und den Absatz. Denn dies gehört in eine Hand, nicht in zehn neue.
Betrachten wir einmal die jüngsten und skurrilsten der modernen Chief-Aufgabenfelder und entscheiden spontan, aber stets begründet: Hop oder Top?
Beginnen wir mit dem Chief Content Officer (CCO). Zwar ist das Bemühen um Content Marketing richtig - und neu daran ist, den richtigen Content für die jeweilige Zielgruppe zu entwickeln. Aber: Da es nicht ein Marketing „mit Content“ und daneben ein Marketing „ohne Content“ gibt, kann der Content Officer eigentlich wieder weg. Da zunehmend (und seit Erfindung des CCO) jedoch Content „ohne Strategie“ anzutreffen ist, empfiehlt sich allerdings die Variante „mit Strategie“.
Der Chief Digital Officer (CDO), gelegentlich Chief Web Officer (CWO), kann auch wieder abgeschafft werden. Das gilt für „digital first“ schlechthin. Wir sollten aufgehört haben, ständig zwischen analog und digital zu unterscheiden. Warum die Unterscheidung schon längst keinen Sinn mehr ergibt, erläutert der renommierte Marketing-Professor Mark Ritson unablässig. Andernfalls bräuchten wir ganz schnell noch einen Chief Print Officer, einen Chief Video Officer und mit dem neuesten Podcast-Trend natürlich auch einen Chief Audio Officer.
Der Chief Growth Officer (CGO), auch Chief Business Development Officer (CBDO), gehört weg. Wenn jemand die Verantwortung für das Wachstum des Unternehmens und seiner Marken trägt, dann sind dafür hinlänglich CEO, COO und vor allem Chief Marketing (CMO) und Chief Sales Officer (CSO) verantwortlich. Das könnte denen so passen, dass sie sich so einfach aus dem Staub machen.
Was aber machen wir mit dem Chief Innovation Officer (CIO)? Marketing ist immer Innovation. Vertrieb ist immer Innovation. Mehr noch sind Forschung und Produktentwicklung immer Innovation. Man könnte auch sagen: „Marketing-Innovation im Konsens ist Nonsens„. Wenn es im Übrigen danach ginge, bräuchte jede Abteilung in jedem Unternehmen einen Innovation Officer. Warum also einen im Marketing? Kann weg.
Der Chief Knowledge Officer (CKO) ist dafür verantwortlich, dass das Wissen im Unternehmen ausgewertet, verwertet und geteilt wird. Es ist also keine Funktion, sondern vielmehr eine Fähigkeit, die jeder Manager – nicht nur im Marketing – besitzen sollte. Also weg.
Der Chief Visionary Officer (CVO) kann aus gleichem Grund ebenso weg. Bill Gates bei Microsoft ist so einer. Arbeiten Sie bei Microsoft, dem wertvollsten Konzern der Welt? Nicht? Wenn Sie dennoch Visionen haben, setzen Sie sie doch einfach um. Es macht Sie zum wertvollsten Chief Marketing Officer, den Ihr Unternehmen je hatte. Und wenn sich dadurch Ihr Unternehmen zum wertvollsten Konzern der Welt entwickelt, dann treten Sie als CEO ab und ernennen sich – wie Bill Gates – gerne zum Chief Visionary Officer.
Der Chief Communication Officer (CCO)? Schon der gefeierte Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick wusste: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Kommunikation ist alles - alles ist Kommunikation. Marketing besteht ausschließlich aus Kommunikation. Kein Grund also, die interne und externe Kommunikation als eigenständige Disziplin neuerdings herauszulösen. Kann also weg. Es sei denn, es ist damit tatsächlich nur Public und Investor Relations gemeint, dann haben Sie nichts weiter als einen shiny Titel gewonnen. Aber Vorsicht: Es besteht nicht zu unterschätzende Verwechslungsgefahr mit dem Chief Content und dem Chief Channel Officer. So viele Buchstaben wie neue Chief Officers hat unser Alphabet leider nicht...
Der Chief Branding Officer (CBO), auch Chief Product Officer (CPO, nicht zu verwechseln mit C-3PO) kann weg. Dafür ist wohl jeder verantwortlich, der auch nur ansatzweise in Marketing und Kommunikation arbeitet. Oder hat sich Ihre Marke soweit vom Rest des Unternehmens verabschiedet, dass sie eine Eigenrolle spielt? Nein, Branding ist ein Teil des Marketings, den jeder Marketer tunlichst beherrschen muss. Sollte mit dieser neuen Bezeichnung allerdings der frühere Product Manager (PM) gemeint sein, war es – ähnlich bei der Ernennung zum Vice President – nur Ersatz für die dringend erhoffte Gehaltserhöhung.
Auch der Chief Channel Officer (CCO) gehört wieder abgeschafft. Es sei denn, er ist Kanalarbeiter, zuständig für die Reinigung von festsitzendem Marketing-Abfall und Abwasser in den Untiefen des Unternehmens, wo negative Energie die Entwicklung des Unternehmens behindert. Andere nennen ihn auch Chief Media Distribution Officer (CMDO), was die Sache nicht besser macht. Media-Expertise braucht in Zeiten der Digitalisierung jedes Unternehmen. Nur nennen Sie ihn bitte nicht Kanal-Arbeiter.
Last but not least: Der Chief Listening Officer (CLO) – jetzt wird’s richtig absurd. Er oder sie „hört“ den ganzen, lieben Tag in sozialen Medien wie Facebook und Instagram, was die Konsumenten in ihrer Freizeit so posten. Davon sind bekanntlich 98 Prozent Trash, was den Job des Chief Listening Officers trefflich umschreibt und zum Chief Trash Officer (CTO) macht. Allerdings freut sich der Praktikant, der das in Ihrem Unternehmen auf 400-Euro-Basis macht, enorm über den Titel: „Und, was machen Sie beruflich?“ „Ich bin Chief Listening Officer bei Netto Marken-Discount.“ Kann weg.
Es wird gerne kritisiert, dass Marketing und Werbung sich schwer damit tun, die vielfältigen Buzzes abzuarbeiten, mit denen sie alljährlich konfrontiert werden. Diesen hippen Trends, die kommen und wieder gehen, allerdings durch neu kreierte Chief-Posten zu begegnen, hilft nicht weiter.
Will man um jeden Preis neue, dafür aber sinnvolle Posten im Marketing schaffen, dann eher diese: Was Unternehmen 2019 dringend brauchen, sind Chief Customer Officer (CCO) und Chief Attitude Officer (CAO), denn Kundenzentrierung und Haltung sind die wahren Themen der Marketing-Zukunft. Dann klappt das auch besser mit dem ROI.
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Author: Melissa Rocha
Last Updated: 1702432322
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